"Schalker Verein“ in Gelsenkirchen - Vorbild und Rekonstruktion

Es ist schon ein überaus symbolträchtiges und bedeutendes Stück Gelsenkirchener Zeitgeschichte: Die Rede ist vom einstigen Hochofenwerk, dessen beeindruckende Kulisse sich noch bis 1983 unmittelbar angrenzend zur „Köln-Mindener“ Eisenbahn erstreckte.

Doch über 40 Jahre seit Abbruch der Werksanlagen, suggeriert der Name „Schalker Verein“ heute oft eher einen sportlichen Bezug.

Dabei verkörperte dieses markante Hüttenwerk - gemeinsam mit der einst vis-à-vis gelegenen Zeche- und Kokerei "Alma" - das Sinnbild Gelsenkirchens als "Stadt der 1000 Feuer".

Die Namensgebung des Hütten- und Gussstahlwerkes beruht hingegen auf der Gründungsgeschichte zu Schalke durch die Stahlmagnaten Grillo und Funke im Jahre 1872. Tatsächlich jedoch befand sich das Werksgelände in Gelsenkirchen-Bulmke, also östlich des Gelsenkirchener Stadtzentrums. Die Hochöfen waren allerdings nur ein Teil der umfangreichen Werksanlagen des "Schalker Verein" und dienten der Erzeugung von sogenanntem „grauen Roheisen“ für die interne Weiterverarbeitung in Gussstahlprodukte.



Aufnahme: Michael Maiss

Dieses Foto aus dem Jahre 1979 versinnbildlicht die zeitgenössische Atmosphäre des stählernen Ruhrgebietes in beeindruckender Weise:

Während der Elektrotriebzug 430 115-6 das Einfahrsignal des Gelsenkirchener Hauptbahnhofes passiert, herrscht am Hochofen IV im Vordergrund noch rege Betriebsamkeit.

Herr Michael Maiss stellte diese Aufnahme dankenswerterweise zur Verfügung



Wie viele andere Betriebe der Montanindustrie, unterlag auch dieses Hüttenwerk einem ständigen Wandel, um mit der schnell fortschreitenden Industrialisierung Schritt zu halten. Schon in den frühen Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts wurde die erste Hochofengeneration durch eine effizientere und größere Anlage abgelöst. Bereits in den 30er Jahren bot sich den Reisenden auf der Bahnstrecke zwischen Gelsenkirchen und Wanne-Eickel der Anblick von damals bereits 4 Hochöfen in einem gemeinsamen, imposanten Stahlgerüst. Über diese Gerüstanordnung wurden die einzelnen Hochöfen mit Eisenerz und Zuschlägen, dem sogenannten Möller, per Senkkübelbegichtung versorgt. Die Kübel gelangten mittels einer speziellen Hebevorrichtung im Gerüst vertikal auf die Gichtebene und wurden entsprechend horizontal zu den Einfüllöffnungen der jeweiligen Hochöfen weiterbefördert.

Eine Besonderheit bildete die direkte Anbindung zur Zeche- und Kokerei Alma: In frühen Jahren noch über eine Kipplohrenseilbahn, später ersetzt durch eine Bandbrücke, erreichte der für den Prozess ebenfalls benötigte Koks auf direktem Wege die Gichtbühnen der Hochöfen.


Die weltgeschichtlichen Ereignisse stellte auch das Hüttenwerk "Schalker Verein" unmittelbar nach Kriegsende vor neue Herausforderungen:

Zerstörte Anlagen mussten vordringlich repariert oder neu aufgebaut werden. Erst in der später folgenden Wirtschaftswunderzeit erfolgte schrittweise eine grundlegende Modernisierung. Dazu zählte auch die Ablösung der nicht mehr zeitgemäßen Senkkübelbegichtung.

Sukzessive wurden deshalb neue Hochöfen in Einzelgerüsten errichtet. Der spätere Hochofen II (zunächst noch als I bezeichnet) bildete dabei das grundlegende Baumuster für die folgenden Hochöfen I und IV, wobei letztgenannter Hochofen allerdings mit deutlichen Abweichungen und anderen Spezifikationen realisiert wurde. Gemeinsam jedoch verfügten diese in den 1950er Jahren hochmodernen neuen Hochöfen über je eine vollautomatische, sogenannte Kippkübelbegichtung mit Doppelglockenverschluss und einem Schrägaufzug. Dieses wirtschaftlich sinnvollere Begichtungs-Verfahren und die damit verbundene Neuerrichtung wesentlicher Anlagenteile änderte auch das äußere Erscheinungsbild erheblich. Das führte zur zuletzt sichtbaren Hochofenanordnung. Die heute noch als Sachzeuge erhaltene Erz- und Koksbunkeranlage war ebenfalls ein essentieller Bestandteil dieses fundamentalen Umbauprozesses.

Auch die Koks-Bandbrücken blieben zunächst noch in Betrieb, wurden jedoch nach Stillegung der Alma-Anlagen weitgehend rückgebaut. Lediglich zwischen Hochofen I und II blieb die sogenannte Koksbrücke bis zum Schluss erhalten und bildete ein charakteristisches und unverkennbares Merkmal der Gelsenkirchener Hochofenkulisse.




Aufnahmen:


Roheisenproduktion im Jahre 1957:

Der Hochofen II steht erst am Beginn seiner ersten Ofenreise. Nur schemenhaft sind seine Konturen im Rauch zu erkennen, während ein Roheisenabstich läuft, wie die Aufnahme zeigt.


Die älteren, nicht mehr benötigten Öfen wurden schrittweise zurückgebaut, ohne den laufenden Produktionsprozess im Werk zu unterbrechen. So auch der Hochofen III, dessen Fundament ebenfalls noch heute erhalten ist.

Sein Rückbau erklärt übrigens auch die markante Lücke zwischen der Hochofengruppe I und II und dem dadurch abseits stehenden Hochofen IV - dem jüngsten und mit 14 anstatt 10 Blasformen gleichzeitig auch leistungsfähigsten Hochofen des "Schalker Verein".

Mit der langen und traditionsreichen Geschichte dieses Werkes waren überdies auch mehrfache Umfirmierungen und Eigentümerwechsel verbunden.

Nachdem die Rheinstahl AG zwischen 1973 und 1974 im Thyssen Konzern aufging, sollten die letzten Betriebsjahre des Hochofenwerkes bevorstehen. Etwa zu diesem Zeitpunkt endete die Reise des Hochofen II. Der Hochofen I erlosch gegen 1979, nachdem Hochofen IV neu zugestellt und angeblasen wurde.



Zeitgenössische Darstellungen berichteten bereits von diffusen Stilllegungsplänen gegen Ende der 70er Jahre, doch letztlich besiegelte ein technisches Großereignis das völlig unerwartete Aus dieses Hochofenbetriebes:

Am 05.03.1982 unterwanderte flüssiges Roheisen zunächst die Ausmauerung des Hochofen IV und durchbrach am Bodenring den wassergekühlten Stahlpanzer. Der schlagartige Kontakt des flüssigen Roheisens mit dem Kühlwasser im rückwärtigen Klärbecken führte zu einer sehr gefährlichen Explosion und irreparablen Schäden am Hochofen. Die anschließende Stilllegung des verbliebenen Hochofenbetriebes zog auch entsprechend soziale Folgen für die Beschäftigten nach sich. Der Abbruch des gesamten Hochofenwerkes erfolgte bereits ab 1983.


Der unerwartet eingetretene Stillstand des letzten Hochofens erforderte seither einen permanenten Pendelverkehr zwischen dem Thyssen-Werk in Duisburg-Bruckhausen mittels sogenannter Torpedopfannenwagen. Diese Flüssigeisentransporte ermöglichten den nachgeschalteten Werksteilen des "Schalker Verein" eine kontinuierliche Weiterproduktion der Gusstahlerzeugnisse bis in das Jahr 2004.



Aufnahme: Manfred Kantel (ꝉ), Sammlung Barbara Brunne

Unmittelbar nach der Betriebseinstellung des Hochofenbetriebes wurden die benötigten Roheisenmengen über die Schiene transportiert.

Dieses Foto ist in mehrfacher Hinsicht sehr interessant: Es zeigt vor der soeben erst stillgelegten Hochofenkulisse nicht nur die 221 130-8 mit zwei Torpedopfannen nebst Schutzwagen, sondern auch die weiterhin produzierten Endprodukte in Form von Gussstahlrohren.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung durch die Eisenbahnstiftung Joachim Schmidt



Was ist geblieben?


Es sind leider nur sehr wenige Relikte des wirklich unmittelbaren Hochofenwerkes "Schalker Verein" erhalten:

Der massive Erz- und Koksbunker in Betonbauweise trägt heute eine Solaranlage. Auch die Fundamente der Hochöfen I, II, III, sowie IV ragen noch knapp aus der aufgeschütteten Grünfläche heraus und lassen die Ausmaße der einstigen Anlagen vage erahnen. Eine steinerne Projektionslinie der Schrägaufzüge stellt den technologischen Bezug zwischen Erzbunker und dem jeweiligen Hochofenfundament her.

Im Bereich des Hochofenfundamentes I gibt es eine Skater-Bahn. Das gesamte Ensemble ist frei zugänglich und für Besucher erschlossen.





Aufnahme:


Relikte des Hochofenwerkes "Schalker Verein":


Das denkmalgeschützte Ensamble der Erzbunkeranlage im Vordergrund mit den leicht zurückversetzten Koksbunkern.

Mit Spritzbeton ausgebesserte Schadstellen überziehen die Bunkeranlage und auch die Jugend trägt zum heutigen Erscheinungsbild bei.






Aufnahme:



Der abgetrennte Außenmantel des ehemaligen Hochofen II auf seinem Fundament, lässt die einst beeindruckenden Dimensionen erahnen.

Die blockartige Struktur gehört zur letzten Ofen-Zustellung und auch die Wanddicke der früheren Ausmauerung ist noch heute gut zu erkennen.





Rekonstruktion

Entwicklung der maßstäblichen Modellumsetzung "Schalker Verein“


Nach mehrjähriger und eingehender Recherche zum Vorbild erfolgt die Rekonstruktion der Hochöfen im Konstruktionsprogramm.


Die hier gezeigten Computeranimationen bestehen aus durchkonstruierten Einzelteilen, welche virtuell zu Baugruppen zusammengesetzt wurden. Eine in jeder Einzelheit überlegte Bauweise der einzelnen Elemente hat in der Konstruktionsphase eine herausragende Bedeutung, um die Hochofennachbildung auch nach erfolgtem 3D-Druck tatsächlich anstandslos montieren zu können. Eine weitere Herausforderung besteht in der möglichst genauen Adaption von Bauteilen, für welche keine Original-Zeichnungsunterlagen mehr vorhanden sind.


Letztlich kommt es bei diesem Projekt nicht nur auf die konstruktiv sinnvolle Bauteil-Gestaltung an, sondern darüber hinaus auch auf einen unzweifelhaften Wiedererkennungswert gegenüber dem einstigen Vorbild.




Aufnahme: Michael Maiss

Der unmittelbare Vergleich zeigt ein anschauliches Zwischenergebnis im Konstruktionsprogramm.

Die Dimensionen der hier dargestellten Hochöfen I und II sind dank vorliegender Original-Zeichnungen gut getroffen.

Ebenfalls gut getroffen ist die wunderbare Original-Aufnahme von Michael Maiss, der zum richtigen Zeitpunkt die 104 018-7 vor den Hochöfen I und II in Szene setzte.

Herr Michael Maiss stellte diese Aufnahme dankenswerterweise zur Verfügung



Anders als im frei gestalten Modellbau, ist hier für jedes einzelne Bauteil eine gute Recherche notwendig. Auch nachträglich gewonnene Erkenntnisse fließen in die Konstruktion ein, denn nicht immer offenbaren sich alle seinerzeitigen Gegebenheiten anhand der vorliegenden Zeichnungen. Da sind wir auch schon beim nächsten Problem, denn eine seit Jahrzehnten abgebrochene Werksanlage ist eben auch nicht mehr in seiner Gesamtheit besuchbar. Deshalb bin ich besonders auf detailreiche Fotos angewiesen, um alles möglichst korrekt und authentisch darstellen zu können. 

Hinzu kommt, dass die Anlagen des "Schalker Verein" leider nicht mehr erschöpfend vollständig dokumentiert sind, wodurch dieses überaus komplexe Vorhaben zusätzlich erschwert wird.

Dennoch ist es mir in mühsamer Kleinarbeit gelungen, die gesamte Hochofenanlage in allen wesentlichen Einzelheiten maßstäblich erfasst zu haben. Auch das Höhenprofil des einstigen Hüttenflures war nicht ganz so einfach zu bestimmen, ebenso einige Fundamente von bereits seinerzeit abgebrochenen Werksteilen.




Abbildung:


Animation der bisher errichteten Strukturen.


Hinter dem noch unfertigen Betriebsgebäude stehen die Hochöfen I und II, dazwischen das Fundament des Hochofen III, und im Hintergrund der Hochofen IV.


Auch der Erzbunker und die beiden Winderhitzergruppen sind bereits vorhanden. Die Hochöfen I und II verfügten über eine mittig angeordnete, gemeinsame Winderhitzergruppe.



Abbildung:


Detailstudium aus der Vogelperspektive. Obwohl noch viele Geländer fehlen, weckt diese Aufnahme alle Vorstellungskraft für das umzusetzende Modell.






Abbildung:


Die Computeranimation ermöglicht auch längst vergangene Blickwinkel zurückzuholen. Obwohl noch viele technische Baugruppen und Anlagenteile fehlen, so erhält der Betrachter dennoch eine Vorstellung, wie es neben dem heute noch erhaltenen Erzbunker tatsächlich ausgesehen hat. 




Abbildung:


Der Hochofen I im Bereich der Abstichebene.

Zwar fehlen noch die Stichlochbohrmaschine und das Stopfgerät - dennoch:

Ob Heißwindringleitung, oder die Anordnung und Anzahl der kreisförmigen Treppen - alles wurde soweit nachgebildet, wie es die Baugröße 1 :160 zulässt. Auch die Anzahl der Blasformen stimmen an den einzelnen Hochöfen. Während die nahezu baugleichen Hochöfen I und II nur über 10 Blasformen verfügten, waren es am Hochofen IV immerhin 14 an der Zahl.


Mit heutigen Hochöfen als roheisenerzeugende Vorstufe für Massenstahlprodukte sind die Gelsenkirchener Anlagen allerdings nicht vergleichbar.

Hier wurde nämlich nur spezielles, graues Gusseisen erschmolzen - sozusagen ein "Nischenprodukt".



An dieser Stelle bedanke ich mich für die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit mit den Archiven der ThyssenKrupp Corporation,

sowie dem Stadtarchiv der Stadt Gelsenkirchen.

Mein besonderer Dank gilt auch den Bildautoren und Bildrechtinhabern der Vorbildfotos.


Ohne diese wertvolle Unterstützung könnte ich das Projekt in dieser Form und Genauigkeit nicht verwirklichen.